Ein literarisch-musikalischer Austausch mit Horatius von Friedeburg und Miss Marple


Die Räbker Kriminalgeschichte ist aus dem Lebendigen Adventskalender befreit

Es war warm, eng, kuschelig, kriminalistisch, musikalisch. Mit anderen Worten einfach schön, als die in „Teilen“ aus Helmstedt und Braunschweig im Verhältnis 4 zu 1 aufgelaufene Justiz in der Mühle Liesebach an einem Freitagabend (22. März) das Zepter und den Versammlungsraum der Mühle übernahm.

Weinbar, eingerichtet in der Teeküche

Fast 100 Zuhörer und Zuhörerinnen bevölkerten den gut angeheizten Raum von Beginn an und sorgten damit zunächst für einen minimalen Getränkestau. Denn zum Start in das musikalische Literatur-Abenteuer mit Dr. Stefan Miersch, Horatius von Friedeburg und Oliver Brand erhielt jeder Ankömmling ein Glas Wein in die Hand gedrückt. Buchhändlerin Meike Jenzen-Kociok, von julius.buch Helmstedt, die Einladende zur 1. Mühlen-Lesung im 7-Mühlen-Dorf, hätte nach eigenen Angaben 140 Eintrittskarten verkaufen können und damit selbst die Dimension und das weite Herz des Fördervereins gesprengt. Sie tat es zum Glück nicht und hängte zum Ausgleich dafür ein Plakat mit „Ausverkauft“ an ihre Ladentür.

In seiner Begrüßung machte Vorsitzender Klaus Röhr einen Parforce-Ritt durch die neuzeitliche Mühlengeschichte, die ihren Anfang mit der Gründung des Fördervereins im Jahre 2009 und der ausgeprägten Spendenbereitschaft von Hermine Liesebach nahm. Nach den bereits gut eingeführten Mühlen-Konzerten gäbe es nun mit der heutigen Lesung eine neue Abteilung Literatur, die die etwa 50 Mühlen-Veranstaltungen im Jahr ein weiteres Mal aufwertet.
Neben dem Räbker Bürgermeister waren Gäste aus den Stadträten von Schöningen und Königslutter vor Ort. Eine gewisse Außenwirkung als Dritter Ort kann man der Mühle also kaum absprechen. Sie wirkt weit über Schunter und Mühlengraben hinaus. Ein herzliches Willkommen ging an alle.

Meike hatte eine Idee

Buchhändlerin Meike Jenzen-Koziok

Die Ur-Idee zu einer Mühlen-Lesung stammt aus dem Kopf der schon erwähnten Buchhändlerin aus Helmstedt, die stets für spritzige Gedanken und „action“ zu haben ist. In Corona-Zeiten hatte sie sogar ihr Präsidentinnenamt (Rotary Club Helmstedt) in der gerade angepflanzten Räbker Streuobstwiese online auf der Höhe 185 vorm Elm übernommen.

Ausgewiesene Kreativität wollen auch die Räbker Müller nutzen, denn auf der 1. Etage des Mühlengebäudes wird ein „Papierboden“ –hoffentlich mit Hilfe von LEADER-Mitteln – entstehen, der die Historie der ehemals berühmten örtlichen Papierherstellung aus Lumpen und den Bezug zur ehemaligen Universität in Helmstedt und zum Herzogtum Braunschweig-Lüneburg ab 2025 herstellen soll. Der Projektantrag ist in der Mache, die geschichtlichen Nachforschungen sind in vollem Gange, wie Christian Lubkowitz in einem kurzen Informationseinschub berichtete.

Danach übernahm die Hauptperson des Abends, Dr. Stefan Miersch, das Mikrofon, beschrieb zunächst humorvoll seinen juristischen Werdegang, sein Buch-Projekt „Horatius von Friedeburg“ und wie es dazu gekommen ist. Welche Rolle spielte der Räbker Adventskalender und welchen Part nahm eine gar nicht so geheimnisvolle Dame, genannt Schmitte, ein (Der wirkliche Name ist der Redaktion bekannt, aber schwer in Buchstaben auszudrücken.).

Worte mit Noten

Duo Oliver Brandt und Stefan Miersch

Dem kriminalistischen Augenblick angemessen, betrat jetzt der zweite Jurist – im richtigen Leben auch ein Richter – die Bühne. Oder besser gesagt: Oliver Brand saß schon bereit, um gekonnt seinem Digital-Piano die ersten Töne zu entlocken. Die englische Miss Marple betrat im übertragenen Sinn instrumental den Versammlungsraum und stimmte das Publikum auf die ersten Zeilen der Räbker Kriminalgeschichte ein. Ein beginnendes Lächeln zeigte sich in den Gesichtern der Zuhörenden, denn die dann folgenden vorgetragenen Passagen aus „Horatius von Friedeburg“ schlossen sich in Harmonie den Tönen an.

Die geheimnisvolle, zuhörende Stille in der Mühle wurde nur von kurzen Lachern des Publikums wegen der vom Autor genutzten bildhaften Beschreibung seiner Krimi-Akteure und vom Vorsitzenden des Fördervereins mit mehreren Spracheinlagen „gestört“. Der nämlich durfte einige Texte, die er im Buch sprachlich zu verantworten hatte, aus der Mitte des Raumes in bekanntem militärischem Duktus laut, akzentuiert und manchmal auch geflissentlich vom Text abweichend, einbringen. Diese kleine Ausspracheübung ohne Mikro konnte ohne Verluste abgeschlossen werden.

Der Versammlungsraum war bis auf den letzten Platz gefüllt.

In der gut 20minütigen Pause bewies Marina Gödeke von nebenan in der Armen Reihe nicht zum ersten Mal, dass ihre Backkünste nicht verarmt sind. Ihr Rot- und Weißwein begleitendes Gebäck war nach der Pause irgendwie entschwunden, vermutlich verzehrt.

Ein bisschen Wahrheit lebt überall
Oliver Brand rief mit seiner Musik zur zweiten Runde, und der Autor nahm sich auf seinem adventlichen Vorlese-Thron die nächsten Kapitel vor. Nicht ohne darauf hinzuweisen, dass so manches von ihm mit Worten gemalte Bild ziemlich nah an der Realität liegt. Und das örtliche Kolorit mit noch bekannten Personen, Gebäuden, dem Höhenzug bei Braunschweig bis hin zur eigenen Hausnummer, wirkte so, als ob man als Räbker oder als Besucher in der vorgelesenen Geschichte lebte. Wozu sicher auch die facettenreichen Kommentierungen des Autors beitrugen.

Stefan Miersch könnte – wäre er nicht neben seiner Frau der Juristerei und der Justiz verfallen – auch Moderator. In seiner nächsten Kriminalgeschichte sollte er über einen verwandtschaftlichen Nebenarm des zu Tode gekommenen Anton Hauser bei Caspar Hauser und dem badischen Königshaus recherchieren. Die fantasievolle Aufklärung dieses „Falles“ wäre den Schweiß eines schreibenden Juristen wert. Zum Schluss noch einmal flotte Musik, eine Eigenkomposition, die Lust auf mehr machte. Die Idee zu einem Justiz-Konzert liegt nahe.
Am Ende des begeisternden Abends gab es „einen Haufen“ zu danken. Meike Jenzen-Kociok tat es mit Geschenken aus der Literatur an die Hauptakteure und mit dem Erlös aller Eintrittskarten und dem Wein. Aufgestockt durch den am Abend gespendeten Inhalt der Mühlenkasse, sodass der Förderverein seinen Eigenkapitalgrundstock für die nächsten Projekte mit ca. 800 Euro aufbessern konnte.

Zwei Räbker und vier Gäste

Vorsitzender Klaus Röhr schloss in seine Dankesworte insbesondere die Veranstalterin ein, aber auch die 3 Angestellten der Helmstedter Justiz, die ihren Chef und die abendlichen Zuhörer und Zuhörerinnen vor einem rechtsfreien Raum in Räbke bewahrten. Kalt gepresstes Rapsöl wechselte mehrfach mit Eigentumsvorbehalt den Besitzer. Der Nachschub über Jahre scheint gesichert.

Wie so oft hat das TSO (Team Spezielle Operationen) vor und hinter den Kulissen stundenlang vorbereitet und Hand angelegt – von Tisch und Stuhl zum Scheinwerfer und zur Mikrofonanlage. Jeweils unterstützt von einem weiblichen Serviceteam, welches immer ansprechbar ist. Das war auch nötig, denn am folgenden Samstag kamen die nächsten gut 65 Gäste zu einem Familientreffen in die Mühle Liesebach. Der Dritte Ort lebt, regional, manchmal auch international, auf jeden Fall musikalisch und ab sofort auch literarisch.

PS: Die Räbker Kriminalgeschichte ist nach wie vor bei julius.buch auf der Neumärker in Helmstedt zu erwerben.

CL 2024-03-25